Michael Stöppler

Michael Stöppler

Soziologe

Michael Stöppler ist Wissenschaftler und Lufthansa Bodenpersonal auf Abruf in Frankfurt am Main. Seit 1994 hat er den Lehrauftrag für Pädagogik im Studiengang Theater- und Opernregie an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Frankfurt am Main. Seit 2016 ist er Mitglied des Academic Committee Fellowships Programms in Auschwitz (FASPE New York). Michael ist Mitglied des "Team 2038" des deutschen Pavillons der Architekturbiennale in Venedig (2021).

Rohstoff

Jörg Fauser
Jörg Fauser als Beobachter seines Lebens und seiner Zeit: Junkie in Istanbul, 1968 Kommunarde in Berlin, Hausbesetzer in Frankfurt. Das autobiographische Zeugnis ist ein rasantes Zeitdokument der sechziger und siebziger Jahre - und die Geschichte von einem, der auszog, um Schriftsteller zu werden.

Fauser erfindet Harry Gelb. Einen seltenen Menschen. In Rohstoff macht er ihn uns zum Geschenk. Grosszügig und beglückend. Fauser lässt Gelb, auf Seite 13, „in Frankfurt/M 50“ aufwachsen. Dort, mit achtzehn, lässt er ihm klar werden, „daß der Beruf des Schriftstellers der einzige war, in dem ich meine Apathie ausleben und vielleicht dennoch aus meinem Leben etwas machen konnte.“ 277 Seiten später, mit Zwischenstopps in Istanbul, Göttingen, München und Berlin liegt Harry Gelb, auf der letzten Seite und eben dort, im Frankfurter Bahnhofsviertel, draussen. „Das war also das Pflaster.“ Und darunter, unter dem Pflaster, liegt mit Fausers Gelb nichts, nicht einmal der Strand. Bis dahin transportiert Harry Gelb, was Fauser am eigenen Leib erlebt hat. „Wir nahmen alles, was wir bekamen… Rohopium... Nembutal… alle möglichen Weckamine… . Ede malte, ich schrieb.“ Erzählt wird des Lebens Lauf zur Persönlichkeit. Vom Mythos zum Roman. Zwischen 1968 und 80/81 sich wissende Wahrheit. Geschichte eben. Alles Übrige ist Irrtum, Trübheit, Meinung, Streben, Willkür und Vergänglichkeit. Absolut mitreißend.  

Michael Stöppler

Luftkrieg und Literatur

W. G. Sebald
Die überarbeiteten Zürcher Poetikvorlesungen von W.G. Sebald über literarische Bemühungen, mit den Realitäten der Nachkriegswelt in Deutschland zurechtzukommen und das Versagen der deutschen Autoren gegenüber dem Luftkrieg.

Luftkrieg und Literatur erscheint 1999. Im selben Jahr, genau am 24. März 1999, ging in Deutschland die Nachkriegszeit zu Ende. In der Operation Allied Force beteiligte sich die deutsche Luftwaffe erstmals nach Ende des Zweiten Weltkrieges an einem bewaffneten Kampfeinsatz. „Der Aufsteiger“, so betitelt der Historiker Edgar Wolfrum seine 2020 erschienene Geschichte Deutschlands von 1990 bis heute, verschob sein oberstes politisches Gebot der Gewalt: aus „Nie wieder Krieg“ wurde „Nie wieder Auschwitz“. Luftkrieg und Literatur „war ausgegangen von Carl Seeligs Schilderung eines Ausflugs, den er im Hochsommer 1943 mit dem Anstaltspatienten Robert Walser gemacht hatte genau an dem Tag, auf den dann die Nacht folgte, in der die Stadt Hamburg im Feuer zugrunde ging.“ Seebald analysiert die Leerstelle die der Luftkrieg über Deutschland in der deutschsprachigen Literatur hinterließ und diagnostiziert ein „Versagen vor der Gewalt der aus unseren ordungswütigen Köpfen entstandenen absoluten Kontingenz.“ Das „verheerende Grauen“ des Luftkrieges über Deutschland scheine „kaum eine Schmerzensspur“ hinterlassen zu haben. Vielmehr wurde versucht daraus „ein Ruhmesblatt im Register dessen zu machen, was man erfolgreich und ohne ein Anzeichen innerer Schwäche alles überstanden hat.“ W.G Seebald wählt hier das seltene Wort Ruhmesblatt. Es erinnert an ein ganz anderes, „niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt“ aus dem Kriegsjahr 1943. Das „gnadenlose“ Ausmass der durch die „Fachleute des Schreckens“ ausgelösten Ereignisse erschliesst sich, wenn überhaupt, bloss „unter einem synoptischen, künstlichen Blick.“ Die Dokumentation bedarf der Fiktion. Von Seite 35 bis Seite 80 unternimmt Seebald den Versuch, den Einsatz einer „Naturgeschichte der Zerstörung“ zu finden. Dabei nimmt er immer wieder die in der Nacht vom 28. Juli begonnene und >Operation Gomorrha< betitelte „vollständige Vernichtung und Einäscherung der Stadt“ Hamburg in den künstlichen Blick. Seebald grenzt seinen Blick zum Schluss scharf von Alexander Kluges Blick ab, der „aller intellektuellen Unentwegtheit zum Trotz, auch der entsetzensstarre des Engels der Geschichte“ sei. Der Seebaldsche Blick, der der das noch nicht niedergeschriebene Lesenden, gleicht dem in der Ludovico Technique festgeklammerten Blick von Alex in Clockwork Orange. No more Singing in the Rain. The Fire Next Time.

Michael Stöppler

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Kunsthistorikerin

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