Gürsoy Doğtaş

Gürsoy Doğtaş

Autor & Kunsthistoriker

Vignette:

„The Fear of Breakdown“ betitelt der englische Kinderarzt und Psychoanalytiker D. Winnicott einen Fachartikel aus dem Jahr 1974. Er schreibt, der Psychotiker lebe in der Angst vor dem Zusammenbruch. Aber: „Die klinische Angst vor dem Zusammenbruch ist die Angst vor einem Zusammenbruch, der bereits erlebt worden ist […], und es gibt Zeiten, wo ein Patient darauf angewiesen ist, dass man ihm sagt, dass der Zusammenbruch, dessen befürchtetes Eintreten sein Leben untergräbt, bereits stattgefunden hat.“ Dasselbe scheint auch für die Angst des Liebenden zu gelten, so etwa für Roland Barthes: Von Anbeginn der Liebe an hat das Verlassenwerden (die Furcht davor) doch bereits stattgefunden.

Aziyadé

Pierre Loti
Aziyadé (1879; auch bekannt als Konstantinopel) ist ein Roman des französischen Autors Pierre Loti, der zunächst anonym veröffentlichte wurde und ihn rasant zu Ruhm führte. Grundlage des Buches sind Tagebuchnotizen und eine Romanze des Autors, der 1876 Zeuge der Kämpfe um die Vormachtstellung auf dem Balkan und der Agonie der einstigen Großmacht Türkei geworden war.

Pierre Loti war ein turkophiler, französischer Marineoffizier, der sich zwischen 1876 und 1877 im Osmanischen Reich aufhielt. Aziyadé (1879), ein Briefroman, erzählt die autofiktionale Liebesgeschichte eines Marineoffiziers (dieser trägt den gleichen Namen wie der Autor) vor dem Hintergrund des untergehenden Osmanischen Reiches. In Konstantinopel (dem heutigen Istanbul) verkleidet sich die Romanfigur Loti als Türke und eignet sich die Landessprache an, um vollständig als Einheimischer durchzugehen. Zugleich reist der Offizier aber auch nach innen, in das exotische Land seines Unbewussten. Mit ihm regrediert im Roman auch das Osmanische Reich.

Obwohl Loti versucht, sein homosexuelles Begehren zu kaschieren, scheint dieses Verlangen doch allgegenwärtig zu sein. André Gide und Jean Cocteau sind sich sicher, dass die verbotenen Liebe zur jungen Haremsdame Aziyadé, die dem Roman seinen Titel gegeben hat, eine gleichsam chiffrierte gleichgeschlechtliche Liebe ist. Diesen schwulen Subtext arbeitet Barthes in seinem Vorwort zu der italienischen Ausgabe von Lotis Roman heraus. Eine für Loti lebensbedrohliche Situation etwa liest Barthes als geglückte Cruisingszene.

Tatsächlich schreibt Loti: „Oft aber bin ich nachts durch die Friedhöfe gestreift und habe dort mehr als eine unerfreuliche Begegnung gehabt. Eines Morgens um drei Uhr früh stellte sich mir ein Mann, der hinter einer Zypresse hervorgetreten war, in den Weg. Er war ein Nachtwächter; er trug einen langen eisenbeschlagenen Stock, zwei Pistolen und einen Dolch bei sich – ich aber unbewaffnet.

Ich begriff sofort, was dieser Mann von mir wollte. Eher hätte er mir Gewalt angetan, als auf sein Vorhaben zu verzichten. Ich willigte ein, ihm zu folgen; ich hatte mir einen Plan zurechtgelegt. Wir liefen an diesen fünfzig Meter tiefen Gräben entlang, die Pera von Kassim Pascha trennen. Er ging ganz nahe am Rand; ich ergriff den günstigen Augenblick und warf mich auf ihn ...“

Der Friedhofswärter verliert daraufhin sein Gleichgewicht und rollt mit einem „schaurigen Geräusch“ den steinigen Abhang hinunter.

Das, wovor Loti sich fürchtet, hat sich bereits ereignet: Die Angst vor der eigenen und fremden Lust zeigt an, dass diese bereits stattgefunden hat. Vielleicht gilt dasselbe auch für die Angst vor dem Tod ...

 

Stimmungen drum herum.

https://www.youtube.com/watch?v=zwqi3vqvDUg

(ab 1:42 min)

„That’s my... Terrible... and alone... and dark. And I’ve lied... about who I am... and where I am. Now no one’ll ever find me ... I always thought it’d be better... to be a fake somebody... than a real nobody.“

 

https://www.youtube.com/watch?v=rbm5YTZ-3uw

Erkin Koray - Seni Her Gördüğümde

İnan ki senden başka hiç kimse yok içimde (Glaub mir, außer dir ist Niemand in mir)

Gürsoy Doğtaş

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