Der Fetzen

Philippe Lançon

Über das Buch

Als sich Philippe Lançon an einem Morgen im Januar spontan entscheidet, in der Redaktion von Charlie Hebdo vorbeizuschauen, gibt es kein Anzeichen dafür, dass sein Leben direkt auf eine Katastrophe zusteuert. Gemeinsam mit seinen Kollegen sitzt er im Konferenzraum, als zwei maskierte Attentäter das Gebäude stürmen. Kurz darauf sind die meisten seiner Freunde tot, ihm selbst wird der Unterkiefer zerschossen. Philippe Lançon wird nicht als Gastdozent nach Princeton gehen, wie es geplant war. Er wird seine Querflöte verschenken, die er nicht mehr spielen kann. Und er wird lange Zeit keine Redaktion mehr betreten. Stattdessen wird er siebzehn Gesichtsoperationen erdulden und versuchen, seine Identität zu rekonstruieren. So, wie das Attentat Frankreich in ein Davor und ein Danach gespalten hat, hat es auch das Leben Philippe Lançons auseinandergerissen. In der fulminanten literarischen Verarbeitung seiner Traumata macht der Autor so eindrucksvoll wie behutsam sichtbar, wie Geist und Körper sich nach einer unsagbaren Erfahrung ihren Weg zurück ins Leben bahnen.

"Die Schüsse haben Philippe Lançon zerrissen - mit diesem Roman hat er die "Fetzen" seines Lebens wieder aufgesammelt." Deutschlandfunk Kultur

ISBN: 978-3-608-50423-1

Der Journalist und Autor Philippe Lançon überlebte das Attentat auf Charlie Hebdo schwer verletzt. Er schrieb unregelmäßig für das Magazin, besuchte deren Redaktionskonferenzen freiwillig. Ausgerechnet am Vormittag des 7. Januar 2015, als zwei bewaffnete Männer sich „Allah Akhbar“ rufend Zutritt verschafften und innerhalb von fünf Minuten elf Menschen ermordeten, war er dort. Mit dem Überleben, das er einem Buch über die Plattenfirma Blue Note zuschreibt, das er dem Karikaturisten Cabu, einem großen Jazzliebhaber, noch zeigte, bevor er loswollte, bevor Cabu starb - (hätte er dies nicht getan, wäre er den Mördern im Flur begegnet, was den sicheren Tod bedeutet hätte), beginnt sein neues Dasein, das von Krankenhausaufenthalten und Operationen geprägt ist. Sein Kiefer wurde weggeschossen und muss nun aus seinem Unterschenkelknochen wieder neu gebaut werden. Auch am Arm wurde er schwer verletzt. Eine Chirurgin wird zum wichtigsten Menschen in seinem Leben, in dem er nun nicht mehr der kühl denkende Journalist ist, dem die Frauen zu Füßen liegen, sondern ein ausgelieferter und sich ausliefernder Patient, den mitunter mehr mit jenen verbindet, die an jenem 7. Januar starben, als mit den Menschen um ihn herum. Das Attentat selbst nimmt in dem 550 Seiten dicken Buch vergleichsweise wenig Platz ein, steckt einem aber nach der Lektüre noch lange in den Knochen. Man bekommt eine Ahnung davon, dass Katastrophen sich ihren Opfern nicht als Katastrophen präsentieren, sondern als etwas rätselhaftes, unwirkliches, auf das sich der sonst doch so verlässliche Verstand erstmal keinen Reim zu machen weiß. Fast ein Traum. Lançon, der ganz hinten im Redaktionsraum in einer Blutlache lag, die er nicht sah, obwohl sie von ihm selbst stammte, auf ihm und unter ihm Tote, die er nicht wahrnahm, war in diesem Moment, schreibt er, „allein inmitten der anderen und höchstens fünf oder sieben Jahre alt“.

 
Ein wahnsinnig beeindruckendes Buch über das, was man nicht in den Nachrichten erfährt. 
 

Johanna Adorján

Johanna Adorján

Journalistin & Schriftstellerin

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