Johanna Adorján, in Stockholm geboren, in München aufgewachsen, schrieb von 2001 bis 2016 aus Berlin fürs Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dann wechselte sie ins Seite-Drei-Ressort der Süddeutschen Zeitung. 2009 veröffentlichte sie das Buch "Eine exklusive Liebe", 2013 "Meine 500 besten Freunde", 2016 "Geteiltes Vergnügen", 2019 "Männer – Einige von vielen". Außerdem betreibt sie den weltbesten Instagram Account (Meinung der Redaktion und vieler mehr).
Nicht alle der in diesem schmalen Band versammelten Haschisch-Versuche, die Walter Benjamin unternahm und pseudo-wissenschaftlich genauestens dokumentierte sind gleichermaßen interessant. Aber dieses eine Mal, als er, 36-jährig, am 29.Juli 1928 ganz alleine in Marseille Haschisch nahm, das liest sich wirklich sehr gut. Gleich der erste Satz: „Um sieben Uhr abends nach langem Zögern Haschisch genommen.“ Es gibt wirklich schlechtere erste Sätze. Aber dann passiert erstmal nichts. Er ist im Hotel, wartet. Nichts. Irgendwann traut er sich raus auf die Straße, und siehe da, es geht los. Ganz sachte. So: „Mein Stock fängt an, mir besondere Freude zu machen.“ Als die Größen Raum und Zeit unzuverlässiger zu werden beginnen, sucht er eine Bar auf. Danach geht er essen. Das Restaurant heißt Basso. Er bestellt etwas, das leider aus ist. Ewig sucht er auf der Speisekarte nach einer Alternative, kann sich nicht entscheiden, würde am liebsten alles bestellen: „Das war aber nicht nur Verfressenheit, sondern eine ganz ausgesprochene Höflichkeit gegen die Speisen, die ich nicht durch eine Ablehnung beleidigen wollte.“
Im weiteren Verlauf des Abends spaziert er heiter durch die nächtliche Stadt, beobachtet Passanten, lässt sich treiben, „sehr wunschlos gestimmt“. Als er von irgendwoher Jazz vernimmt, reißt ihn die Musik zu etwas hin, das er sonst nie tut, weil es gegen seine Erziehung ist. „Ich habe vergessen, mit welcher Begründung ich mir gestattete, ihren Takt mit dem Fuß zu markieren.“ Scheint ein guter Abend in Marseille gewesen zu sein.
Es gab mal eine Anzeige der Kleidermarke The Gap mit einem Foto von Jack Kerouac. Darauf steht er nachts vor der leuchtenden Neonschrift der Bar Kettle of Fish in Greenwich Village, die damals, 1958, noch in der MacDougal Street war (heute ist sie in der Christopher Street) und ein beliebter Treffpunkt der Literaten der so genannten Beat Generation. Er trägt ein weißes Hemd mit hochgekrempelten Armen, lächelt leicht, und links neben ihm ist ziemlich viel Dunkelheit, da steht der Satz: „Kerouac wore khakis“.
Auf dem Originalfoto war links von Kerouac nicht so viel Platz. In Wahrheit hatte dort seine damalige Freundin gestanden, Joyce Johnson, damals noch Joyce Glassman. Sie war herausretuschiert worden, nicht nur aus diesem Foto, es nahm auch sonst niemand Notiz davon, dass zu den ganzen männlichen Egos der Beat Generation auch Frauen an ihrer Seite gehört hatten (jedenfalls zu manchen), die ihnen ihr Künstlerdasein teilweise erst ermöglichten, indem sie von ihren eigenen, weniger genialen Jobs Essen für sie bezahlten, sie bei sich wohnen ließen, ihre Werke für sie abtippten etc.
Joyce Johnson war eineinhalb Jahre lang die Freundin von Jack Kerouac, und zwar genau in der Zeit, in der „On the Road“ herauskam, das ihn schlagartig zum gefeierten Literatur-Star machte. Sie war Anfang zwanzig, er über 30, und obwohl er ihr gleich beim ersten Date mitteilte, dass sie leider nicht sein Typ sei – sie war blond, er bevorzugte es dunkler – zog er sofort bei ihr ein. In ihrem 1983 veröffentlichten fantastischen, fantastischen Memoir „Minor Characters“, das so gut wie ausschließlich in New York City spielt, kommt Kerouac oft vor. Doch die Hauptfigur ist sie, Joyce Johnson, die damit den Vorgang der Auslöschung revidiert. Das Buch handelt von einer jungen Frau, die sich nicht mit der Rolle zufriedengeben will, die in den 1950er Jahren für Frauen vorgesehen war, mit ihrem konservativen Elternhaus bricht, und sich in einen aufregenden Künstlertypen verliebt, der sich nicht binden will. Wenn man es liest, begreift man plötzlich, dass die wahren Helden der ach so heldenhaften Beat Generation Frauen waren, Heldinnen. Und übrigens: toll geschrieben ist es auch noch.
Françoise Sagan war 18 Jahre alt, als sie innerhalb von wenigen Wochen den Roman schrieb, der sie auf der Stelle bekannt machte: „Bonjour Tristesse“. Er handelt von einer 17-jährigen, die während der Sommerferien in einer Villa in der Nähe von Cannes eine verhängnisvolle Intrige schmiedet, um die neueste Frau an der Seite ihres gut aussehenden Vaters (ihre Mutter starb früh) wieder loszuwerden. Dabei findet sie die ganz toll. Aber das ist ja das Komplizierte am Jungsein, dass man sich selbst und diese ganzen Gefühle, die in einem toben, nicht versteht. Das Buch ist in einem wunderbar schläfrigen Ton geschrieben, man meint beim Lesen die Hitze der Sonne zu spüren, und wenn es dunkel wird, hört man die Grillen. Und man erinnert sich wieder wie das war, damals, als die Sommerferien noch endlos waren und es nichts anderes zu tun gab, als braun zu werden und das ganze Leben wie eine Verheißung vor einem lag.
Der Journalist und Autor Philippe Lançon überlebte das Attentat auf Charlie Hebdo schwer verletzt. Er schrieb unregelmäßig für das Magazin, besuchte deren Redaktionskonferenzen freiwillig. Ausgerechnet am Vormittag des 7. Januar 2015, als zwei bewaffnete Männer sich „Allah Akhbar“ rufend Zutritt verschafften und innerhalb von fünf Minuten elf Menschen ermordeten, war er dort. Mit dem Überleben, das er einem Buch über die Plattenfirma Blue Note zuschreibt, das er dem Karikaturisten Cabu, einem großen Jazzliebhaber, noch zeigte, bevor er loswollte, bevor Cabu starb - (hätte er dies nicht getan, wäre er den Mördern im Flur begegnet, was den sicheren Tod bedeutet hätte), beginnt sein neues Dasein, das von Krankenhausaufenthalten und Operationen geprägt ist. Sein Kiefer wurde weggeschossen und muss nun aus seinem Unterschenkelknochen wieder neu gebaut werden. Auch am Arm wurde er schwer verletzt. Eine Chirurgin wird zum wichtigsten Menschen in seinem Leben, in dem er nun nicht mehr der kühl denkende Journalist ist, dem die Frauen zu Füßen liegen, sondern ein ausgelieferter und sich ausliefernder Patient, den mitunter mehr mit jenen verbindet, die an jenem 7. Januar starben, als mit den Menschen um ihn herum. Das Attentat selbst nimmt in dem 550 Seiten dicken Buch vergleichsweise wenig Platz ein, steckt einem aber nach der Lektüre noch lange in den Knochen. Man bekommt eine Ahnung davon, dass Katastrophen sich ihren Opfern nicht als Katastrophen präsentieren, sondern als etwas rätselhaftes, unwirkliches, auf das sich der sonst doch so verlässliche Verstand erstmal keinen Reim zu machen weiß. Fast ein Traum. Lançon, der ganz hinten im Redaktionsraum in einer Blutlache lag, die er nicht sah, obwohl sie von ihm selbst stammte, auf ihm und unter ihm Tote, die er nicht wahrnahm, war in diesem Moment, schreibt er, „allein inmitten der anderen und höchstens fünf oder sieben Jahre alt“.
Ein wahnsinnig beeindruckendes Buch über das, was man nicht in den Nachrichten erfährt.
Der Künstler Martin Kippenberger konnte wahnsinnig gut mit Worten umgehen. Zum Glück hat Diedrich Diederichsen seine gesammelten Texte als Buch herausgegeben, unter anderem ist darin die Story „1984 / wie es wirklich war / am Beispiel Knokke“ zu finden, die eine bemerkenswerte Entstehungsgeschichte hat. Kippenberger verbrachte 1984 eine Woche im belgischen Badeort Knokke. Er reiste mit der Bahn an, ging dort essen, ins Kino, tanzen, reiste wieder ab. Er notierte alles und ließ dann von seiner Assistentin Annette Grotkasten diese Reise anhand seiner Notizen nacherleben und aufschreiben, als zusammenhängenden Text, aber aus seiner Perspektive. Vom Stil her sollte es möglichst langweilig sein. Man muss sagen, dass ihr das sehr gut gelungen ist.
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