Bücher und Züge – das gehört zusammen. Seitdem 1834 die erste deutsche Bahnstrecke eröffnete, ist das Zugfahren Gegenstand der Literatur. Die Beziehung zur Eisenbahn war zunächst ambivalent und von Euphorie und Verunsicherung geprägt. Hauptmanns Bahnwärter Thiel wird von der Moderne überrollt (1888), in Tolstois „Anna Karenina“ geht die Romanhandlung in einem großen Bogen von einem Bahnhof aus und endet auf den Gleisen, während Flaubert die Eisenbahn noch als das drittlangweiligste Thema, das man sich vorstellen könne, bezeichnete und lediglich eine Illusion des Fortschritts erkennen wollte: Die Eisenbahn würde bloß noch mehr Leuten gestatten herumzufahren, sich zu treffen und zusammen dumm zu sein.
Inzwischen ist die Eisenbahn schon lange angekommen. In der Literatur gibt es Männer, die Zügen nachschauen, Kriminalfälle, absurde Fahrten, metaphorische Fahrten, delirierende Fahrten und Fahrten ohne Zweck oder Ziel. Sogar das 9 Euro Ticket wurde schon 1981 von Nadolny vorgelegt. In „Netzkarte“ ersetzt die Eisenbahn die romantische Wanderung und ein junger verträumter Taugenichts reist voller Sehnsüchte mit der Bahn kreuz und quer durch Deutschland.
„Die Wahrheit ist, dass ich gern im Zug sitze und aus dem Fenster sehe, meine Fantasie in Gang kommen lasse und allerlei Pläne mache. Das einzige, was mich bisher daran gestört hat, war die Zumutung, irgendwo aussteigen zu müssen, weil die Fahrt zu Ende war. Aus diesem Grund kaufte ich mir eine Netzkarte.“
Für die Literatur ist das Bahnfahren ein wiederkehrendes Sujet und bei der Bahnfahrt wird gerne gelesen. Abgeschirmt und unterwegs – Zugfahren und der Lesevorgang entsprechen sich. Mit der Eisenbahn wurde die Zeit erfunden. Gemeinsam mit der Deutschen Bahn empfehlen wir, sich die Zeit auf der Reise zurückzunehmen. Im Literarischen Schienennetz sammeln wir Romane, die uns lesend ans Ziel bringen.
Du denkst an Berlin?
Eine Weltstadt, ein Moloch - Menschen in der Dämmerung, die durch die Straßen streifen, Nachtfalter, flackerndes Licht der Kinos, auf ein Bier an die Theke der Kiez-Bar, Plaketten studieren der Dichter und Schauspieler, die hier lebten, damals, in den Roaring Twenties, als Berlin noch Gold, nicht Braun, war. Und während Du gehst, stolperst und staunst, vermischt sich das Jetzt und das Gestern. Das Besondere liegt einmal um die Ecke, immer unter der Oberfläche. Die ganze Stadt ein Netz. Die ganze Stadt ein Ereignis. Ein Geflecht aus Lebensadern, ein Strom aus Geschichten. Ein Stadtplan zu diesem Lebensgefühl, wenn auch 1931 verfasst, ist: Curt Moreck „Ein Führer durch das lasterhafte Berlin. Das deutsche Babylon“.
Moreck war einer der erfolgreichsten Romanautoren Deutschlands, während der Zeit des Nationalsozialismus waren seine Bücher verboten, nach 1945 konnte er nicht mehr an die Erfolge von damals anknüpfen. Sein Stadtführer zeigt Bars, Varietés, Kinos und Bühnen aller Couleur, erfasst den brodelnden Vulkan zwischen Sonnenuntergang und Aufgang.
Auch wenn 90 Jahre vergangen sind zwischen Erscheinen des Buches und dem heutigen Stadtbild Berlins, hat sich im Kern so viel nicht geändert. Wer heute nach Berlin kommt, verfällt ja auch noch in Nostalgie und denkt an Kunst – Kultur – Ausgehen – Vibration – Glühwürmchendasein – Vergnügen.
Natürlich findet man die genannten Orte an den Adressen so nicht mehr. Ich empfehle Euch das Büchlein wegen der Atmosphäre, dem Bilder- und Geruchsreichtum, der in einem aufsteigt. Morecks Buch ist Klang, ist Farbe – bereitet vor und stimmt ein. Der Schreibstil reiß mit und wie ein Rezensent sagte „Eine Sprache, die perlt wie Champagner.“
Goldener Handschuh ist eine Kneipe in Hamburg. Auf eine sehr menschliche Art wird ein soziales Umfeld beschrieben, zu dem der normale Leser vermutlich schwerlich Zutritt hat. Ich würde es nicht zwingend als Reiseführer für Hamburg sehen, aber es beschreibt etwas, was es ausser bei Jörg Fausers Frankfurt in keiner anderen deutschen Stadt gibt.
„Tod und Teufel“ von Frank Schätzing ist ein Groschenroman. Aus Langeweile habe ich den vor Jahren meiner Mutter entwendet. Das Schöne daran ist, dass die Geschichte sich im mittelalterlichen Köln zu trägt und die ziemlich alte Stadt, ihre Orte, Bauten und Denkmäler, die heute nur noch mit viel Phantasie an eine Römer-Zeit erinnern, niedlich im zeitlichen Kontext beschrieben werden. Die Historie der Stadt Köln ist bis heute einer der wenigen Dinge, die ich an der Stadt sehr mag. Insgesamt ein recht spannender Sonntagsroman, der das Gehirn jetzt nicht wirklich zum Grübeln bringt.
Streulicht zeigt ein Milieu, das ich wie meine Westentasche kenne. 2019 habe ich in der Kinly Bar einen Drink entwickelt, der alle Kulturen des Frankfurter Bahnhofsviertels ins Glas bringt und perfekt zum Stoff passt:
Elmo
*Sous Vide Zubereitung: 90 Minuten im Wasserbad (72 Grad)!
Das Ganze wird in einer Schale mit einem Eiswürfel serviert. Komplex wie FFM.
Der Untertitel lautet Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Ziemlich tolles, böses, präzises Gesellschaftportrait. Nach und nach entsteht ein Sittengemälde des „Landes Bayern“ in jener Zeit.
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